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Problematische Sexualität und warum sie bleiben kann

Sexuelle Probleme

Sexuelle Probleme und Störungen können sich beziehen auf 

  1.       Unzufriedenheit mit den körperlichen Reaktionen (sogenannte Funktionsstörungen)

  2.       Hadern mit den Gefühlen von Lust, Erregung und Leidenschaft (sogenannte Luststörungen)

  3.       Probleme mit den sexuellen Präferenzen (worauf wir „stehen“)

  4.       Probleme mit der sexuellen Identität

  5.       Partnerschaftsprobleme

 

Zu 1.

Hier finden sich:

Beim Mann: Erektionsstörungen (Dauer und Stärke der Erektion von Beginn an oder im Verlauf des Sex nicht ausreichend), Priapismus (schmerzhafte Dauererektion), frühzeitige Ejakulation, verzögerte oder ausbleibende Ejakulation, Schmerzen beim Sex (z.B. Penis-, Eichel- oder Hodenschmerz).

Bei der Frau: mangelndes Feuchtwerden der Scheide (fehlende Lubrikation), Hypersekretion (zu viel Feuchtigkeit), Schmerzen beim Sex (insbesondere innerhalb der Genitalien), Vaginismus (Muskelverkrampfung des Scheideneingangs).

Übrigens: 47% der Österreicherinnen und Österreicher sind mit ihrem Sexualleben zufrieden, das ist leider nicht einmal die Hälfte. [1]

 

[1] http://www.heute.at/life/love/story/-sterreicher-mit-Sexleben-unzufrieden-50777616

 

Zu 2.

Hier finden sich:

Sexuelles Verlangen (Appetenz) wird nicht oder nur selten gespürt, Lustlosigkeit oder nachlassende Lust beim Sex, Gleichgültigkeit gegenüber Sexualität, Widerwillen, Ekel, Aversion, Orgasmus wird nie oder selten erlebt, Orgasmus ohne Gefühle von  Lust und Befriedigung. Unangenehme Gefühle und Empfindungen nach dem Sex: Verstimmung, Gereiztheit, innere Unruhe, Depressionen, Missempfindungen im Genitalbereich, Kopfschmerzen.

 

Häufig treten verschiedene Probleme mit den körperlichen Reaktionen und den Gefühlen parallel auf.

 

Zu 3.

Hier finden sich:

Probleme mit den eigenen sexuellen Präferenzen (Vorlieben), auch Paraphilien oder Devianzen genannt, wenn sie Leiden erzeugen oder Betroffene in wichtigen Bereichen des alltäglichen Lebens beeinträchtigt sind (z. B. im Beruf oder in seinen Beziehungen zu anderen Menschen). Alle Frauen und Männer haben Präferenzen beim Sex, manchmal auch sehr ungewöhnliche.  Der Unterschied ist, dass für paraphile Männer und Frauen ohne diese Reize meist gar keine oder nur wenig Erregung aufkommt. So kann es sein, dass manchmal hinter einer Lust-, Erektions- oder Schmerzstörung eine Paraphilie steckt. Eine „normale“ sexuelle Begegnung ist für die betroffenen Personen einfach nicht erregend genug, oder die Präferenz bedrängt, macht hilflos, schafft Leiden. Das Leiden kann sich auf die eigene Person oder andere Personen beziehen und auch deren sexuelle Selbstbestimmung verletzen und dadurch strafbar sein (z.B. Pädophilie). Teilen zwei erwachsene Menschen eine sexuelle Präferenz, so wird nicht von einer Paraphilie gesprochen.

 

Zu den Paraphilien gehören u.a.:

Exhibitionismus (Zur-Schau-Stellen der Genitalien), Voyeurismus (Beobachten sexueller Aktivitäten anderer), Fetischismus (Gebrauch unbelebter Objekte), Transvestitischer Fetischismus (Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts), Pädophilie (Sex mit Kindern und pubertierenden Jugendlichen), Sexueller Masochismus (Gedemütigt werden oder Leiden), Sexueller Sadismus (Andere demütigen oder Leiden verursachen), Frotteurismus (Sich reiben oder Berühren an einer Person, die dem nicht zugestimmt hat), etc.

Strafrechtlich relevante sexuelle Präferenzen, die andere Menschen körperlich oder psychisch schädigen, werden Delinquenzen genannt, dazu gehören u.a. die Pädophilie mit missbräuchlichem Handeln und Exhibitionismus.

 

Zu 4.

Hierzu gehören Probleme, die aus dem Wunsch resultieren, als Angehöriger / Angehörige des gefühlten anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen biologischen Geschlecht einher. Manchmal besteht der Wunsch nach hormonelle und chirurgischer Angleichung an das gefühlte Geschlecht. Lange Zeit galt hierfür der Begriff „Transsexualität“, wobei Transmann für den Wunsch, Mann zu sein stand (weiblicher Körper) und Transfrau für den Wunsch, Frau zu sein (männlicher Körper). Heute sprechen wir von transidenten Menschen. Auch bei Kindern, die (ansatzweise) mit beiden Geschlechtsorganen geboren werden, werden sexuelle Identitätsstörungen diagnostiziert, wobei hier der Begriff „Intersexualität“ verwendet wird bzw. wurde.  

 

 

Zu 5.

Leben Frauen oder Männer in einer Partnerschaft, können sexuelle Probleme aus Beziehungsproblemen heraus erwachsen. Sexuelle Probleme des/der einzelnen Partners/Partnerin können sich aber auch auf die Beziehung belastend auswirken. Zur Belastung kann die Sexualität in Beziehungen dann werden, wenn bei einem Partner belastende sexuelle Probleme auftreten oder wenn die Bedürfnisse zwischen Partnerinnen und Partnern unterschiedlich sind oder werden, unterschiedlich zum Beispiel hinsichtlich der Häufigkeit oder Art des Sex.

Wenn dann das sexuelle Erleben ruht, vermindert ist oder die Intensität und das Kribbeln nicht mehr die früher gewohnte Tiefe erreichen, wächst die Unzufriedenheit. Die meisten  Paare übersehen dabei, dass eine befriedigende Sexualität nicht von selbst und automatisiert existiert, sondern immer wieder neu belebt werden muss. Viele haben sich mit der unbefriedigenden Sexualität abgefunden, verzichten ganz auf ihre Sexualität oder leiden nicht mehr darunter. Viele Paare kennen die lustfeindliche Routine, bei der Sex nur noch routinemäßig stattfindet, nicht darüber gesprochen, auf äußere Attraktivität nicht mehr geachtet wird. Keiner fängt mehr an, niemand verführt mehr, jeder wartet, dass der andere es tut. Kindererziehung und Haushaltsführung auf der einen, Berufsstress und Karrieredenken auf der anderen Seite und als Folge Abgespannt-sein lassen immer weniger Muße für die körperliche Liebe.

Andererseits sind bei Paaren, bei denen nach anfänglicher Verliebtheit und dem dadurch hervorgerufenen Rausch der Leidenschaft die Sexualität im Verlauf der Partnerschaft reifer und tiefer geworden ist, aus diesem Wandel viele Chancen für Zufriedenheit und Lust erwachsen. Diese sexuell zufriedenen Paare schlafen vielleicht einmal in 14 Tagen, vielleicht einmal im Monat miteinander. Dafür geht Qualität vor Quantität. Sinnlichkeit und Erotik leben auch in langen Partnerschaften, auch bei Paaren im hohen Lebensalter. Und diese Paare können Mut machen, dass Männer, Frauen und Paare, sich nicht mit dem Schicksal einer unbefriedigenden Sexualität abfinden müssen.

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Image by Ian Schneider

Wie sexuelle Lust- und Funktionsstörungen entstehen und warum sie bleiben können

Das sexuelle Erleben und die sexuellen Reaktionen sind zart strukturiert und sehr störungsanfällig. Bevor wir zu den „Störenfrieden“ kommen, die Frauen, Männern und Paaren das aktuelle sexuelle Leben so schwer machen können, soll ein Blick darauf gerichtet werden, wie sexuelle Störungen entstehen. Aber: die Entstehungsursachen sexueller Störungen sind nicht unbedingt gleichzusetzen mit den Bedingungen, die sexuelle Störungen jeweils gegenwärtig aufrechterhalten. Und letztlich sind es die aktuellen Problemgründe, an denen Veränderungen ansetzen.

 

Manche Wurzeln für sexuelle Probleme im Erwachsenenalter werden bereits in der Kindheit gelegt. Dies betrifft insbesondere Sorgen und Zweifel am „ein richtiger Junge/ ein richtiges Mädchen sein“.

Wer

  • sich selbst unsicher fühlt,

  • einen hohen Leistungsanspruch an sich selbst hat,

  • kein gutes Körpergefühl entwickeln konnte,

  • die Sexualität in der Erziehung tabuisiert erlebt hat,

  • wenig über Sexualität weiß,

  • belastende Vorstellungen über die eigene Sexualität und das Mann-Sein/Frau-Sein gelernt hat,

  • keine oder wenig Vorbilder für Zärtlichkeit sowie einen positiven Umgang mit dem eigenen Körper gehabt hat,

kann eine Veranlagung besitzen, sexuelle Probleme und Störungen auszubilden, dies auch noch im späten Erwachsenenalter. Dies setzt allerdings voraus, dass diese frühen Belastungen auch im Erwachsenenalter weiter wirken.

Die Liste der Störenfriede für eine befriedigende Sexualität ist lang: Einflüsse von außen, Gefühle und Gefühlszustände, sexuelle Hemmungen und Ängste, Beziehungskonflikte, Stress, Langeweile, körperliche Probleme, Medikamente, frühes Versagen und Angst vor erneutem Misserfolg, Konflikte in der Beziehung, Gewalterfahrung und sexueller Missbrauch, negative Gedanken über Sexualität und die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen, körperliches Unwohlsein etc.

Die Bedingungen für die Entstehung sexueller Probleme sind bei einzelnen Frauen und Männern ganz individuell. In der Regel kommen mehrere Gründe zusammen, damit sexuelle Probleme letztlich ausgeprägt und leidvoll werden können. Die psychotherapeutische Arbeit hat gezeigt, dass sich doch Gemeinsamkeiten finden, die für die Entstehung sexueller Störungen verantwortlich sind. 

So spielen Ängste bei der Entstehung, der Entwicklung und der Stabilisierung sexueller Probleme eine wesentliche Rolle:

  • Ängste nicht genügend wichtig zu sein,

  • Angst vor oder in Beziehungen,

  • Gewissensängste,

  • Ängste vor den eigenen sexuellen Reaktionen,

  • Angst, sich zu blamieren,

  • Angst zu versagen,

  • Angst, eine sexuelle Leistung erbringen zu müssen,

  • Angst, den Erwartungen des Partners oder der Partnerin nicht zu genügen,

  • Angst vor Infektionen,

  • Angst, die Kontrolle zu verlieren und sich ungewöhnlich zu verhalten,

  • Angst, aggressiven Impulsen zu folgen oder

  • Angst, zu viel von sich zu zeigen.

All diese Ängste können eine Grundlage für sexuelle Störungen bilden, sie können sexuelles Versagen aber auch direkt auslösen.

Angst kann sich aber auch infolge eines sexuellen Problems entwickeln. Tritt in einer sexuellen Situation eine Problematik mit der Lust, der Erektion, dem Orgasmus oder treten Schmerzen auf, kann dies Sorgen und Ängste vor dem nächsten Mal auslösen. Die Sorgen beziehen sich dann darauf, „es“ wieder passiert, woraus sich eine unglückselige Verkettung entwickeln kann

 

Falsche Vorstellungen über körperliche Abläufe, über zufriedenstellendes und lustvolles sexuelles Erleben oder verschiedene sexuelle Praktiken, Unwissenheit über Infektionsmöglichkeiten, Erfahrungs- und Wissensdefizite, wenig Informationen über die „sexuelle Vorgeschichte“ der Partnerin oder des Partners können zu solchen Informations- und Erfahrungsdefiziten gehören. So ist es zum Beispiel wichtig zu wissen, dass sich mit zunehmendem Alter die körperlichen sexuellen Reaktionen verändern. Es ist mehr Stimulierung notwendig, bis die Erregung einsetzt, sie braucht mehr Zwischendurch-Stimulierung, und der Orgasmus kann sich verzögern. All dies mag der betroffenen Person zu schaffen machen, diese Veränderungen sind aber normal und werden mit vielen anderen Menschen geteilt, früher oder später. Auch kann sexuelle Erregung und die Auslösung des  Orgasmus sich nicht willentlich beeinflussen lassen, sondern sind von zahlreichen Bedingungen abhängen, die den Körper in eine gewisse harmonische Bereitschaft für Erregung und Orgasmus bringen. Je mehr Druck auf den Körper ausgeübt wird, um so mehr wird dieser den gewollten Dienst versagen.

 

Im Zusammenhang mit dem Wissen über Sexualität und sexuelle Abläufe sind auch die durch die Erziehung oder die öffentliche Diskussion über Sexualität in die Köpfe eingebrannten Vorstellungen, Einstellungen, Meinungen und Mythen über Sexualität zu sehen. Penisse, die nie schlapp machen und hart wie Stahl sind, Feuersbrünste, die Körper ausdörren, Höhepunkte, die sich jagen und vor Lust sterben lassen, es gibt immer noch vorherrschende Fantasiemodelle von Sexualität. Propagierte Vorstellungen über Sexualität tragen zum Rollenverhalten von sexuell aktiven Männern und Frauen in unserer Gesellschaft bei. Und  vielen Männern und Frauen, die von sexuellen Problemen belastet sind, machen Mythen im Kopf Probleme: z. B. Dass jede Berührung sexuell sein soll, Männer können und wollen jederzeit, Frauen sind in der passiven Rolle, Sex ist gleich Geschlechtsverkehr, der beste Orgasmus ist der Gleichzeitige und ein Penis darf in einer erregenden Situation nicht klein werden usw.

Von besonderer Bedeutung sind in dieser Kategorie aufrechterhaltender Prozesse aber vor allem die handlungsleitenden Schemata über Sexualität: vom Mann-Sein und vom Frau-Sein, vom Nacktsein, die Bewertung der eigenen Körperlichkeit, was man tut und was man nicht tut sowie andere in der Lebensgeschichte erworbene und anerzogene Botschaften, die das sexuelle und partnerschaftliche Verhalten beeinflussen.

Bei sexuellen Störungen liegt das Problem nicht im Verhalten der Genitalien, sondern vielmehr in den Vorstellungen des Mannes oder der Frau, wie sich Penis und Scheide verhalten sollen.  Wenn keine Lust zum Sex da ist, werden sich die Genitalien auch wenig sexuell verhalten. Das ist kein Problem, das ist normal und verständlich. Vielen Männern und Frauen gelingt es jedoch, daraus ein Problem zu machen, indem sie versuchen, eine Erektion und Scheidenfeuchtigkeit auch dann herbei zu zwingen, wenn sie eigentlich kein Verlangen spüren.

Wenn es gelingt, nicht die oft öffentlich propagierten sexuellen Vorstellungen zu übernehmen, sondern den eigenen Gefühlen, dem eigenen Körper, den eigenen Wünschen und Fantasien zu vertrauen, werden wichtige aufrechterhaltende Störungsbedingungen entzogen und die Sexualität wird zufriedenstellender.

 

Es hört sich vielleicht eigenartig an, aber sexuelle Störungen können durchaus einen Sinn im Leben des betroffenen Menschen haben. Umgekehrt gesagt, kann gutes sexuelles Funktionieren tief sitzende Ängste und Schuldgefühle auslösen sowie mit tief in der Psyche vergrabenen Konflikten konfrontieren. Das heißt: Dadurch, dass Sexualität nicht funktioniert und dass aufgrund der sexuellen Probleme keine Sexualität gelebt wird, werden die tief sitzenden Ängste und Konflikte nicht ausgelöst. Darin kann dann der „Sinn“ der sexuellen Störung liegen: den Mann oder die Frau vor möglicherweise noch Belastenderem, noch Herausfordernderem als der sexuellen Störung zu schützen. Solche tief verwurzelten Ängste und Konflikte können aus Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen resultieren, es können Ängste vor dem anderen Geschlecht sein, Konflikte mit der eigenen Religiosität, das Nicht-Zulassen-Wollen homosexueller Lebens- und Liebesbedürfnisse, Schuldgefühle anderen Personen gegenüber oder andere Quellen unangenehmer Erfahrungen, die sexuelle Erregung, sexuelles Zusammensein und Koitus als Gefahr und Bedrohung erleben lassen. Das Nein der Genitalien und der Gefühle und die Vermeidung von Sexualität schützen vor der Auseinandersetzung mit diesen Ängsten und Konflikten.

 

Auch belastende Partnerkonflikte können Ursache oder Folge sexueller Störungen sein. Die sexuelle Störung kann zum Austragungsort von Beziehungsproblemen werden. Das Nein des Partners zum Sex kann die Reaktion auf belastende Partnerschaftserfahrungen sein. Das heißt, Partnerprobleme manifestieren sich in oder drücken sich durch die sexuelle Störung aus. Der sexuellen Störung kommt eine Funktion innerhalb der Partnerschaft zu. So verhilft die sexuelle Störung - und auch das mag sich eigentümlich anhören - letztlich zu einem Gleichgewicht in der partnerschaftlichen Beziehung, die ohne die sexuelle Störung durch die dann offensichtlich werdenden Partnerkonflikte außer Balance geraten würde. Solche Partnerkonflikte können sein:

  • ein Partner hat zum Beispiel Probleme mit zu viel Nähe oder zu viel Distanz, oder mit enger Bindung,

  • es gibt eine Schuld für vergangene Verletzungen,

  • mehrere ungelöste Probleme existieren in der Beziehung, die sich z.B. auf die Themen Zeit für einander, Kindererziehung, Umgang mit Geld, Urlaubsplanung und vieles andere mehr beziehen können. 

  • einem Partner wird immer wieder das sexuelle Versagen vorgeworfen, um von eigenen Problemen abzulenken,

  • in der Beziehung wird kaum mehr geredet,

  • die Partnerschaft ist langweilig geworden,

  • die Sexualität ist ein geeigneter Ort, um andere Probleme in der Partnerschaft auszuleben oder von anderen Problemen in der Beziehung (s.o.) abzulenken.

 

Aber auch eine lustabträgliche Lebensgestaltung kann Voraussetzung für unbefriedigende oder fehlende sexuelle Begegnungen sein. Dazu können gehören: Abgespannt sein vom Alltagsstress und von den beruflichen Belastungen, Mehrfachbelastungen durch Kinder, Familie und Beruf, kleine Kinder, die das Ehebett nicht mehr verlassen wollen, eine zu kleine Wohnung, in der kaum Rückzugsmöglichkeiten existieren, kranke Kinder oder die eigenen Eltern sind krank und/oder müssen gepflegt werden. Auffällig ist, dass Paare, bei denen beide Partner berufstätig sind, den Hauptteil der sexuell Lustlosen stellen. Berufsstress, Karrierestreben, Kindererziehung, Haushaltsführung und Abgespannt sein lassen immer weniger Muße für die Liebe. Wenn Sexualität dann zum Termin im Wochenendfahrplan geworden ist, wenn die Anziehungskraft fehlt, wenn Stress die Lust auf Sexualität reduziert und Erschöpfung und Müdigkeit die Energie für sexuelle Aktivitäten nimmt, werden auch der Penis und die Vulva von den lustfeindlichen Rahmenbedingungen angesteckt.

 

Es tritt noch ein anderer Mythos zu Tage, der heute vor allem für Unzufriedenheit in den sexuellen Beziehungen sorgt und sich neben der erlebten sexuellen Unlust auch in wechselnden Funktionsstörungen beim Mann oder der Frau ausdrücken kann. Dies ist der Mythos von der lebenslangen und leidenschaftlichen sexuellen Partnerschaft bezeichnet. Mehr als früher, basieren Partnerschaften heute auf gefühlsmäßiger Verbundenheit. Und diese ist anfällig für Schwankungen.

 

Nicht zuletzt können körperliche (organische) Ursachen sexuelle Probleme auslösen oder aufrechterhalten. Dazu können gehören hoher Blutdruck, hoher Cholesterinspiegel, Diabetes, operative Folgen, Magengeschwüre und Herzerkrankungen, Tumore, Medikamenten- und Drogenkonsum, starker Alkoholgenuss, hormonelle Störungen, schmerzhafte Entzündungen im Genitalbereich, Probleme mit der Vaginalschleimhaut usw. Hinzu kommen Rückenmarkverletzungen und bei Männern Prostataerkrankungen und -operationen. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen können sexuelle Störungen auslösen. Häufig kommen die sexuellen Beeinträchtigungen jedoch nicht durch die psychische oder organische Erkrankung selbst, sondern sind als Nebenwirkung der medikamentösen Behandlung der Grunderkrankung zu sehen. Gerade Psychopharmaka oder Herzmedikamente können Einfluss auf das sexuelle Erleben und Funktionieren haben, meist jedoch nicht in dem Ausmaß, wie es oft von betroffenen Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen angenommen wird. In vielen Beipackzetteln von Medikamenten finden sich auch Hinweise auf mögliche sexuelle Probleme als mögliche Nebenwirkungen der jeweiligen Medikamente. Schnell kann der beschriebene sich selbst verstärkende Mechanismus einsetzen: Die Sorge, dass die im Beipackzettel beschriebene Nebenwirkung auftritt, beeinträchtigt die empfindliche sexuelle Funktion, was wiederum eine Bestätigung der anfänglichen Sorge bedeutet.

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sexuelle Lust- und Funktionsstörungen durch folgende Aspekte aufrechterhalten und stabilisiert werden:

  • Organische Bedingungen

  • Aspekte des Verhaltens (z.B. Sex wird vermieden, wird trotz Schmerzen durchgeführt)

  • Problemgedanken und Einstellungen

  • Wissens- und Erfahrungsdefizite

  • Problemtische Gefühle (z.B. Angst, Ekel, Schuld, Scham, Ärger, Hilflosigkeit, Verletztheit)

  • Probleme mit dem eigenen Körper (z.B. Unzufriedenheit wegen Gewicht und Aussehen, Hadern mit den körperlichen Problemen)

  • Tiefsitzende Ängste und Konflikte

  • Partnerschaftsprobleme

  • Probleme in der Lebenswelt (z.B. Probleme mit den Kindern, Arbeitslosigkeit, Probleme am Arbeitsplatz, Krankheiten und Pflegeaufwand in der Familie, Schulden, schwierige Wohnbedingungen)

 

Je nachdem, welche aufrechterhaltenden Bedingungen der sexuellen Problematik und Störung einzeln oder im Zusammenwirken existieren, setzen in der Sexual- und Psychotherapie genau dort bei der Frau, beim Mann oder beim Paar die Interventionen für Veränderung an, also z.B. im Verhalten, in den Gedanken und Einstellungen, beim Wissensdefizit, an den Gefühlen und im Erleben, ein den Einstellungen zum eigenen Körper, an den tiefsitzenden Konflikten, an den partnerschaftlichen Bedingungen oder an den  Lebensbedingungen. Gegebenenfalls ist es sinnvoll und notwendig, durch medizinische Maßnahmen oder Hilfsmittel die Bewältigung der organischen Gründe zu unterstützen.

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